Rezension | Superior - Im Windschatten der Lüge von Anne-Marie Jungwirth

Ich habe mal wieder eine Rezension zu einem für mich ganz besonderen Buch für euch.
Superior - Im Windschatten der Lüge ist der zweite Band einer Trilogie und ich habe bereits den ersten Teil sehr geliebt. Die Bücher haben beide ihren Ehrenplatz zwischen meinen anderen Lieblingsbüchern bzw. -Autoren. Der zweite Band ist für mich gleich in doppelter Hinsicht besonders, denn 1. war ich eine der drei Testleserinnen für den Roman und 2. habe ich festgestellt, dass die Protagonistin Amelia an genau demselben Tag Geburtstag hat wie ich - sogar im selben Jahr! Wenn das kein interessanter Fun-Fact ist, dann weiß ich auch nicht :D

Achtung, zweiter Band! Mögliche Spoiler zu Teil 1!!!

-> hier kommt ihr zu meiner Rezension von Band 1


Klappentext:

Amelia ist tot. Zumindest auf dem Papier …

Gemeinsam mit einer Handvoll Verbündeten arbeitet sie daran, die Superior Human Society zu zerschlagen. Eine wesentliche Waffe in diesem Kampf ist Amelia selbst und ihre neue Gabe. Die lässt sich nur leider nicht so einfach in den Griff bekommen und das Training treibt sie an ihre körperlichen Grenzen. Ihre eigenen Bedürfnisse werden dem gemeinsamen Ziel untergeordnet und auch die Beziehung zu Nathan leidet.

Können sie die Superior Human Society tatsächlich zerstören?
Und wenn ja, zu welchem Preis?

Meine Meinung:

Wie bereits erwähnt, liebe ich dieses Buch. Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine ähnliche Geschichte gelesen zu haben. Klar, besondere Fähigkeiten sind nichts Neues. Auch totalitäre Systeme oder eine Gesellschaft, die im Verborgenen agiert, sind nicht neu. Aber die Mischung macht es!

Schon im ersten Band habe ich Amelia, die Protagonistin, sehr gemocht. Sie ist selbstbewusst, eigensinnig, oft ziemlich flirty, manchmal zynisch, sarkastisch und therapiert ihre Sorgen gerne mal mit einem Gin-Tonic. All das sind nicht gerade die typischen Merkmale von Protagonistinnen, was erstmal eine willkommene Abwechslung ist. Allerdings habe ich Amelia in ihrer etwas anderen Unperfektheit schnell ins Herz geschlossen. Sie ist einfach Amelia und nicht austauschbar!
Im zweiten Band gerät bei der Armen so ziemlich alles aus den Fugen. Nachdem sie schon im ersten Band sehr viel durchmachen musste, kämpft sie sich durch ihre neuen Probleme und versucht, irgendwie Fuß zu fassen. Dass sie sich Sky und seiner Sache angeschlossen hat, macht das Ganze für sie nicht einfacher. Durch all die Veränderungen, die in ihrem Leben geschehen sind, verändert sich auch ihr Charakter und sie selbst weiß nicht, ob sie das akzeptieren kann. Seelisch ist sie ziemlich zerstört, ähnlich wie alle anderen Charaktere, die Brick "behandelt" hat.

Die Handlung befasst sich zu einem großen Teil mit den Problemen, die sich Skys Sache in den Weg stellen. Es werden Pläne geschmiedet, Ziele festgelegt und nebenher müssen sie darauf achten, unentdeckt zu bleiben. Dabei stellt sich auch die Frage, wie weit jeder aus dem Team gehen will und natürlich lernt man auch weitere Charaktere kennen, die im Laufe der Handlung zu einer Art Familie zusammenwachsen. Im Zentrum all der Überlegungen steht Amelia, an der plötzlich so vieles hängt, denn ihre Gabe könnte der Schlüssel sein. Doch der Druck macht ihr zu schaffen, denn ihre Gabe entwickelt sich nicht so schnell, wie es alle gerne hätten. Dazu kommt das Trauma nach all den Erlebnissen, die sie in Band 1 überstanden hat.
Gerade das ist auch ein Punkt, den ich an dem Buch sehr besonders finde. Denn neben Amelia besteht Skys Gruppe fast ausschließlich aus Superior, die ähnliches, wenn nicht sogar schlimmeres erlebt haben als sie. Das, was sie alle durchlebt haben, grenzt nicht nur an Folter, es IST Folter. Ich habe mit jedem einzelnen Charakter gelitten, als ich erfahren habe, was ihm widerfahren ist. Sie alle haben dadurch Probleme und Ängste, doch sie alle haben einen Weg gefunden, damit zu leben.
Man findet ihre Vergangenheit vor allem in ihrem Charakter wieder. Man merkt es an ihrem Verhalten. Was ich dabei am schönsten fand war, dass die guten Seiten dadurch nie überlagert wurden. Man merkt jedem Charakter an, für was sein Herz schlägt und was ihm wichtig ist. Oft gehen diese Sachen mit ihren Gaben und ihrer Vergangenheit einher. Ob dicker Panzer mit weichem Kern oder ein zerbrechliches Äußeres mit einer unerwarteten inneren Stärke. Jeder Charakter ist gezeichnet und so einzigartig, dass man sie sich alle ohne Probleme als echte Menschen vorstellen kann. Und obwohl sie in manchen Punkten sehr verschiedene Ansichten haben, sich alle anders verhalten und total unterschiedliche Herangehensweisen haben, die einem selbst vielleicht auch mal nicht so gut gefallen, muss man sie einfach mögen. Man kann gar nicht anders. Die Charaktere haben alle ihre Schattenseiten, Eigenschaften, die man nicht mag, aber das Gesamtbild wird vom Guten überlagert. Trotz all dem Schlechten, dass ihnen widerfahren ist. Trotz all der Dunkelheit in ihrer Welt.
Es ist erschreckend, wie schnell man allein durch diese Einblicke schon eine Bindung zu den Charakteren aufbaut und sich ihnen und ihrer Sache quasi anschließt. Todesangst, Schmerz, Hilflosigkeit ... Es gibt so viele grausame Ängste, mit denen die Charaktere konfrontiert worden sind und die sie alle nie komplett überwunden haben. Dabei fühlte sich beim Lesen alles fast schon zu real an. Jedes Detail aus der Vergangenheit der Charaktere fügt sich zu einem Bild zusammen. Alles, was passiert ist, hat seine Auswirkungen auf die Zukunft. Dabei sind ganz besonders die psychischen Aspekte enorm gut herausgearbeitet. Man kann all das nachvollziehen, ja sogar mitfühlen. Man ist hautnah dabei. Und fiebert umso mehr mit. Man will unbedingt, dass sie einen Ausweg finden und die SHS ändern oder vernichten.
All die Konflikte, sie sich den Charakteren stellen, kann man durch die vielen Perspektivwechsel gut nachvollziehen. Dabei hat man beim Lesen jedoch nie das Gefühl, aus der Handlung gerissen oder überfordert zu werden. Da die Charaktere viele verschiedene Sichtweisen haben, kann man sich seinen eigenen Standpunkt aussuchen und ist nicht an eine Sichtweise gefesselt.

Neben all den inneren Konflikten, Amelias Trauma und dem Kampf im Verborgenen gibt es noch eine Sache, die ganz wichtig ist. Amelia und Nathan. Die Liebe.
Mit Nathan stand ich ganz zu Beginn von Band 1 gelegentlich auf Kriegsfuß, doch mittlerweile habe ich auch ihn sehr ins Herz geschlossen. Er sorgt sich so sehr um Amelia und beweist dadurch so viel Stärke. Charakterstärke. Viel mehr, als ich ihm zugetraut hätte. Wie viele Menschen hätten sich einfach ihrem Schicksal gebeugt? Wie viele hätten das Risiko für die Liebe nicht in Kauf genommen? Doch er schon und das rechne ich ihm hoch an. Die Beiden haben ihre ganz eigene Art von Zärtlichkeit und stehen einander nicht immer nur mit Worten bei. Irgendwie ist die Beziehung zwischen ihnen etwas ganz besonderes und wirkt beim Lesen weder schwer, noch überlagert sie die anderen wichtigen Teile des Buches. Sie fügt sich ein, gehört genau dorthin, wo sie ist.
Auch die anderen Beziehungen zwischen den anderen Charakteren sind sehr natürlich und einzigartig. Alles ist extrem gut durchdacht und jede Verbindung hat einen Hintergrund. Dabei hat mir besonders gut gefallen, dass die "guten" Charaktere auch untereinander oft nicht einer Meinung waren und gelegentlich auch gegeneinander gearbeitet haben. Es gibt in dem buch viele Grauzonen und sehr viele Facetten - in jeder Schattierung, also auch unter den "guten".

Ich möchte außerdem noch den Schreibstil loben, den ich wirklich sehr liebe. Er passt zu allen Charakteren, aus deren Sicht erzählt wird, und auch zur Geschichte an sich. Dazu stechen einem keine Fehler oder ähnliches ins Auge, das den Lesefluss stören könnte. Man wird in die Geschichte gesogen, die Geschichte legt sich über die Realität. Dadurch, dass auch inhaltlich viele Kontaktpunkte zu dem Leser und der Realität bestehen, scheint das Buch an manchen Stellen gar nicht mehr so fiktiv zu sein. Der lockere Ton des Schreibstils und der Humor, der an einigen Stellen unterschwellig durchschimmert, passen hervorragend zum Setting und den Charakteren. Man fühlt sich den Charakteren und ihren Geschichten so nah, als wäre man selbst dabei. Man leidet, grübelt, hofft und bangt mit ihnen.

Alles in allem kann ich das Buch nur von ganzem Herzen empfehlen. Es geht an vielen Stellen unter die Haut, ist spannend, aufwühlend, oft düster, aber auch hoffnungsvoll und stark. Wie bereits der erste Band wird sich auch der zweite Teil wieder einen Platz unter meinen Jahreshighlights sichern. Ich liebe dieses Buch und besonders seine Charaktere, mit denen ich mich unfassbar gut identifizieren konnte, einfach und freue mich schon wahnsinnig auf den dritten und letzten Band.


Infos:

Autorin: Anne-Marie Jungwirth
Band: 2 von 3
Seitenzahl: 405
Verlag: Drachenmond Verlag
ISBN: 978-3-95991-227-3

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